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Neues Arbeiten. Wieviel Arbeitszeit und Lohn sind wirklich nötig?

Neues Arbeiten. Wieviel Arbeitszeit und Lohn sind wirklich nötig?

Im Berufsleben stehen wir täglich vor Herausforderungen und Fragen. Wann hast du dich das letzte Mal mit den folgenden Fragen auseinandergesetzt:

Zukunftsorientierte Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen setzen sich mit diesen und weiteren Fragen auseinander, und entwickeln so gemeinsam innovative Arbeitszeit- und Lohnmodelle. In diesem Beitrag werden zwei spannende Ansätze beschrieben und verglichen, einerseits das Bedarfslohnmodell und andererseits Arbeitszeitmodelle mit reduzierter Sollarbeitszeit bei gleichem Gehalt.

Der Think & Do Tank Dezentrum experimentiert mit einem Bedarfslohnmodell, welches für alle Partner:innen gilt. Erklärtes Ziel ist es, die Verantwortung möglichst gleich unter allen Partner:innen zu verteilen. Es soll verhindert werden, dass Verantwortlichkeiten kumuliert und finanziell abgegolten werden. In diesem Kontext ist das Modell folglich ein Versuch, die ansonsten verbreitete Verknüpfung von Verantwortung und Lohn zu lösen. Dieses Lohnmodell beinhaltet auch eine regelmässige Überprüfungsmöglichkeit der Bedürfnisse. Dies ist ein zentraler Unterschied zu anderen Lohnmodellen, bei denen automatische jährliche Erhöhungen üblich sind. Jährliche Lohnerhöhungen werden zur Gewohnheit, sie fördern eine Erwartungshaltung und damit einhergehend häufig auch eine Steigerung der Bedürfnisse.

Für die Akzeptanz dieses Modells ist eine wichtige Voraussetzung, dass alle Beteiligten damit einverstanden sind, dass Verantwortung ein zentraler Wert ist. Weiter ist eine Verständigung auf gemeinsame Werte und die gewünschte Unternehmenskultur nötig. Soll das Experiment gelingen, ist es wichtig, dass es keine Wertung der unterschiedlichen Bedürfnisse gibt. Der regelmässige Austausch über Bedürfnisse und Löhne fördert die Lohntransparenz und trägt dazu bei, diskriminierende Lohnunterschiede zu verhindern. Es regt alle Beteiligten dazu an, ihre eigenen Bedürfnisse im Kontext der Bedürfnisse der anderen Partner:innen zu reflektieren. Auch die wirtschaftliche Machbarkeit aller Löhne muss in die individuelle Bedarfsanalyse miteinfliessen. Eine grosse Herausforderung ist das Abwägen zwischen Bedarf und dem zu leistenden Pensum. Welche Faktoren beeinflussen die individuelle Entscheidung, ob zum Abdecken des eigenen Bedarfs ein höheres Pensum geleistet oder ein höherer Zusatzbedarf angegeben wird? Eine anspruchsvolle Frage für alle Beteiligten.

Das Bedarfslohnmodell ist ein innovativer Ansatz, der nicht nur für die direkt beteiligten Personen spannende Erfahrungen bringt, sondern potenziell aufschlussreiche Erkenntnisse für die Gesellschaft bringen könnte. Es wäre beispielsweise spannend zu beobachten, wie sich die individuellen Bedürfnisse langfristig über die Lebensabschnitte verändern und welche Lohnkurven sich dadurch ergeben.

Nicht nur der Lohn spielt eine wichtige Rolle, sondern auch die Arbeitszeit. In der jüngsten Geschichte der Menschheit wurde immer wieder die Frage gestellt, wie viel Arbeitszeit überhaupt notwendig ist. Durch technische Fortschritte, Effizienz- und Produktivitätssteigerungen hat sich die Sollarbeitszeit immer wieder reduziert. Die zunehmende Digitalisierung verspricht weitere Zeitersparnisse. Es stellt sich also einmal mehr die berechtigte Frage, ob die Sollarbeitszeit für alle Arbeitnehmenden gesenkt werden könnte und sollte. Einige wissenschaftliche Studien zeigen deutliche Vorteile auf, die eine allgemeine Reduktion der Arbeitszeit bringen könnte. Und auch das Beispiel einer Österreichischen Marketing-Agentur, welche die Sollarbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche gesenkt hat, liefert gute Argumente, die für eine Senkung sprechen. Die Vorteile beschränken sich dabei nicht nur auf die Arbeitnehmenden, auch die Arbeitgeber:innen steigern dadurch ihre Attraktivität.

Verschiedene Unternehmen weltweit und auch Verwaltungsabteilungen in mehreren Europäischen Staaten experimentieren erfolgreich mit kürzeren Arbeitszeiten bei vollem Gehalt. Sie berichten von gesteigerter Produktivität und effizienteren Arbeitsabläufe. Die begleitenden wissenschaftlichen Studien bestätigen die Ergebnisse aus der Praxis. Die Ergebnisse zeigen deutlich auf, dass Menschen nicht 8 Stunden pro Tag immerzu produktiv sind. Es ist eher so, dass die Aufgaben häufig an die verfügbare Arbeitszeit angepasst werden. Kürzere Arbeitszeiten können auch signifikant die Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeitenden steigern. Positive Auswirkungen sind besserer Schlaf, weniger körperliche Beschwerden, weniger Stress und folglich insgesamt weniger Krankheitstage.

Eine tiefere Sollarbeitszeit für alle leistet auch einen wichtigen Beitrag zu Gleichstellung der Geschlechter. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeitpensen als Männer und leisten neben dem Job mehr unbezahlte Fürsorgearbeit. Die Reduktion der Arbeitszeit für alle fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei kürzerer Vollzeit könnten Frauen mehr bezahlte Arbeit leisten und Männer sich mehr in Haushalt und Familie einbringen.

Neben diesen Vorteilen gibt es auch potenzielle Nachteile zu bedenken. Die generelle Senkung der Arbeitszeit für alle berücksichtigt zum Beispiel nicht die individuelle Leistungsbereitschaft und –möglichkeit. Menschen, die gut und gerne 40 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten wollen, empfinden eine solche Reduktion womöglich als Bevormundung. Als gewichtigster Nachteil werden meistens höhere Lohn- und Sozialkosten aufgeführt. Aus Sicht der Arbeitgeber:innen ist dies verständlicherweise ein zentraler Aspekt. Aus gesellschaftlicher Perspektive sieht die Rechnung jedoch etwas anders aus. Wird die Arbeitszeit pro Mitarbeiter:in reduziert, können mehr Mitarbeitende beschäftigt werden. Dies verhindert, dass einerseits Angestellte mit Arbeit überlastet werden, während gleichzeitig arbeitssuchende Menschen keine Anstellung finden. Das gesellschaftliche Interesse sollte darin liegen zu verhindern, dass zunehmend wirtschaftliche Gewinne privatisiert und die Kosten verallgemeinert werden.

Ob Reduktion der Arbeitszeit oder Anpassung der Löhne an individuelle Bedürfnisse, beide Modelle stellen zentrale Fragen zur heutigen Arbeitswelt: Wie viel Lohn und wie viel Arbeitszeit sind wirklich nötig? Sie stellen auch die Frage, wie Löhne und Arbeitszeiten jeweils begründet werden. Beide Varianten orientieren sich an Bedürfnissen anstatt an Erwartungen, eine dringend notwendige Umkehr der heute vielerorts gängigen Praxis. Der Nutzen, den wir als Gesellschaft erwarten dürfen, ist bei beiden Modellen potenziell hoch.


Kai Isemann

Ursprünglich aus der Finanzwelt kommend, bin ich seit 2012 als Unternehmer und Mentor tätig. Für Menschen, die sich ihrer Verantwortung für die ökonomische Energie bewusst sind, die sie verwalten, orchestriere ich seit mehr als einem Jahrzehnt Lösungen, wie sie diese Energie dem Reversed Triple Bottom Line Modell für eine nachhaltige Entwicklung entsprechend investieren können.

1) Ist es gut für die Umwelt?
2) Ist es gut für die direkt und indirekt Beteiligten?
3) Ist es gut für die Ökonomie unserer Wertegemeinschaft?

Und zwar in dieser Reihenfolge!