Das Stiftungsparadoxon: Wenn die Anlage den Zweck verrät
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Das Stiftungsparadoxon: Wenn die Anlage den Zweck verrät
Die Anforderungen an gemeinnützige Stiftungen steigen. Die Öffentlichkeit erwartet nicht nur effektive Projekte, sondern auch Transparenz, Glaubwürdigkeit und eine konsequente Umsetzung der eigenen Werte. Stiftungsräte tragen hierfür die oberste Verantwortung. Besonders im Bereich der Kapitalanlage wird diese Verantwortung oft nicht wahrgenommen – mit weitreichenden Folgen.
Die unbequeme Wahrheit: Das Stiftungsparadoxon
Eine Stiftung fördert Biodiversität – und ist in einen Fonds mit Agrochemiekonzernen investiert. Eine Sozialstiftung kämpft für faire Arbeitsbedingungen – und hält Aktien von Unternehmen, die auf Auslagerung in Billiglohnländer setzen.
Solche Beispiele sind keine Einzelfälle. Sie sind Ausdruck eines systemischen Widerspruchs, den wir als Stiftungsparadoxon bezeichnen können: Der Zweck einer Stiftung wird durch ihre eigene Kapitalanlage untergraben – nicht bewusst und willentlich. Die Ursache liegt in einem veralteten Verständnis von Anlagerichtlinien, in denen Ertrag und Sicherheit über Zweckkongruenz gestellt werden.
Zahlen, die aufrütteln
Laut einer Studie von SwissFoundations und Swiss Sustainable Finance (2017) richten nur 18 % der Schweizer Stiftungen ihre Anlagestrategie aktiv an Nachhaltigkeitskriterien aus. Gleichzeitig investieren 72 % über Standardprodukte wie Indexfonds, die kaum auf soziale oder ökologische Aspekte Rücksicht nehmen. Neuere Befragungen von StiftungSchweiz (2023) bestätigen: Der Grossteil der Anlagestrategien folgt nach wie vor rein klassischen Renditezielen.
Der Schweizer Stiftungssektor verwaltet ein Gesamtvermögen von geschätzten 100 Milliarden Franken. Hochrechnungen deuten darauf hin, dass etwa 70 Milliarden Franken davon in konventionelle Anlageformen fliessen, die nur unzureichend auf ökologische oder soziale Wirkungen geprüft sind. Europaweit sind es sogar mehrere Hundert Milliarden Euro, die dem gleichen Muster folgen.
Die Dimension des Problems ist erheblich: Wären diese Kapitalströme konsequent nachhaltigkeitsorientiert, könnten Stiftungen nicht nur ihre Projekte finanzieren, sondern gleichzeitig massgebliche Beiträge zu Klimaschutz, Biodiversität und sozialem Fortschritt leisten. Mehr noch: Fachleute wie David Wood (Harvard Kennedy School) und Organisationen wie Better Society Capital und Convergence zeigen, dass Stiftungen durch gezielt wirkungsorientierte Kapitalanlagen systemische Veränderungen bewirken können, die weit über den Einfluss einzelner Projekte hinausgehen. Studien belegen, dass strategisch nachhaltiges Investment in der Lage ist, Kapitalströme umzulenken und dadurch ganze Branchen, Technologien und gesellschaftliche Entwicklungen positiv zu beeinflussen.
Die Kapitalanlage einer Stiftung ist daher nicht nur ein Mittel zur Finanzierung von Projekten, sondern selbst das viel mächtigere Instrument zur Erreichung des Stiftungszwecks. Nachhaltig gesteuertes Vermögen wirkt nicht punktuell, sondern kontinuierlich und strukturell – genau dort, wo viele der grössten gesellschaftlichen Herausforderungen entstehen.
Eine (falsche) Bewegung nimmt Fahrt auf
Parallel dazu fliesst immer mehr Kapital in den Stiftungssektor. Die Schweiz zählt heute rund 14’000 aktive gemeinnützige Stiftungen und verfügt über eine der höchsten Stiftungsdichten weltweit. Insbesondere urbane Zentren wie Zürich entwickeln sich gezielt zu internationalen Stiftungshubs. Die Stadt Zürich wirbt aktiv um Philanthropen und Stiftungsgründungen und positioniert sich als Kompetenzzentrum für gemeinnütziges Engagement. Dieser Trend verstärkt die Verantwortung der Stiftungsräte zusätzlich: Mehr Kapital bedeutet mehr Einfluss, aber auch eine grössere Verpflichtung, dieses Kapital zweckkonform und gesellschaftlich verantwortlich einzusetzen.
Wem viel anvertraut ist, von dem wird viel verlangt.
Die Aufgabe des Stiftungsrats: Governance heisst Ganzheitlichkeit
Ein vorausschauender Stiftungsrat erkennt: Verantwortung beginnt beim Kapital. Wer nur das Projektportfolio nachhaltig denkt, verkennt die Hebelwirkung des Stiftungsvermögens. Eine glaubwürdige, wirkungsorientierte Stiftung führt ihr Kapital eng im Einklang mit ihrem Zweck. Das heisst:
Zweckorientierte Anlagestrategie: Die Investitionspolitik ist kein separates Kapitel, sondern integraler Bestandteil der Gesamtstrategie.
Transparente Berichterstattung: Neben der finanziellen Rendite wird über Wirkung und Risiken der Anlagen berichtet.
Ausschluss destruktiver Geschäftsmodelle: Menschenrechtsverstösse, Umweltzerstörung, Steuervermeidung sind unvereinbar mit gemeinnützigem Handeln.
Impact als Zielgrösse: Das Kapital soll nicht nur Schaden vermeiden, sondern aktiv zur Wirkung beitragen.
Der Triple Bottom Line Ansatz: Eine praktische Orientierung
Die Triple Bottom Line Methodik stellt eine praxisnahe und fundierte Herangehensweise dar, wie diese Transformation gelingen kann. Sie fordert die gleichwertige Berücksichtigung von Ökologie, Sozialem und Ökonomie. Für Stiftungsräte ergibt sich daraus ein prüfbares Raster für Investitionsentscheide.
Was jetzt zu tun ist
- Anlagestrategie überprüfen: Ist sie kongruent mit dem Stiftungszweck? Sind Negativ- und Positivkriterien definiert?
- Reglement anpassen: Nachhaltigkeitsziele explizit im Anlagereglement verankern.
- Kapitalströme offenlegen: Wer Wirkung will, muss zeigen, woher die Mittel stammen.
- Rolle ernst nehmen: Der Stiftungsrat ist der letzte Garantenkreis für Zwecktreue – auch finanziell.
Es geht nicht darum, klassische Anlageprinzipien abzuschaffen. Es geht darum, sie weiterzudenken. Der Kapitalmarkt hat sich gewandelt. Die Instrumente für nachhaltige, zweckdienliche Anlagen sind heute vorhanden. Was fehlt, ist die Entschlossenheit.
Stiftungsräte haben nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Verantwortung, das Kapital ihrer Stiftung im Einklang mit deren Zweck und gesellschaftlicher Wirkung einzusetzen.
Dabei darf nicht vergessen werden: Die Verwaltung des Stiftungsvermögens ist nicht eine Nebensache des Stiftungsrats, sie ist sein eigentlicher Kernauftrag. Dieses Kapital gehört nicht den Räten selbst, sondern der Gesellschaft, die darauf vertraut, dass es weise und im Sinne des Stiftungszwecks eingesetzt wird. Wer diesen Auftrag verfehlt, negiert die eigentliche Existenzberechtigung der Stiftung.
Weiterführende Informationen:
https://ssir.org/articles/entry/roles_foundations_play_in_shaping_impact_investing?#
https://www.nature.com/articles/s43247-024-01479-4
https://johnsoncenter.org/blog/impact-investing-lessons-learned-from-practitioners-and-advocates/
Mein Denken ist in der systemischen Finanzwelt gewachsen – tief analytisch, lösungsorientiert und geprägt von einem Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Heute begleite ich Menschen, Organisationen und Regionen in Transformationsprozessen, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Strukturen in einen nachhaltigen Gleichklang bringen.
Eine grosse Freude an der Neurodiversität – an den unterschiedlichen Arten, die Welt zu denken und zu gestalten – fliesst ebenso in meine Arbeit, wie die Überzeugung, dass Vielfalt die Grundlage für Resilienz und Innovation ist. Weiterbildungen in permakultureller und syntropischer Landwirtschaft sowie die Bewirtschaftung eines eigenen Waldgartens ermöglichen es mir, agrarökologische Entwicklungen praxisnah zu gestalten und Theorie und Umsetzung sinnvoll zu verbinden.
Grundlage meines Handelns sind die Prinzipien der Triple Bottom Line: ökologisch tragfähig, sozial gerecht und wirtschaftlich tragend – mit dem Ziel, individuelle Entwicklung und gesellschaftliche Resilienz gleichermassen zu fördern.
Weitere Impulse aus meinem Universum