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Die Geschichte des Huron-Weizen

Die Geschichte des Huron-Weizen


Getreide begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Vom wilden Einkorn in Anatolien über die erste Kultivierung des Weizens im fruchtbaren Halbmond bis hin zu den Hochleistungssorten der Gegenwart – das Korn ist eine der zentralen Säulen unserer Ernährung. Doch mit dem Streben nach immer höheren Erträgen und optimierten Anbaubedingungen gingen viele alte Sorten verloren. Eine dieser beinahe vergessenen Weizensorten ist der Huron-Weizen, ein Korn mit herausragender Backqualität und einzigartigen Eigenschaften, das durch glückliche Umstände bewahrt wurde.


Die Entdeckung: Ein Zufallsfund in den Alpen

In den 1940er-Jahren wurde der Huron-Weizen in der Schweiz während der Kriegsjahre grossflächig angebaut. Die damaligen Landwirte schätzten ihn für seine exzellente Mehlqualität und sein robustes Wachstum. Doch mit der Einführung ertragreicherer Sorten, die sich besser für den mechanisierten Anbau eigneten, geriet er langsam in Vergessenheit.

Einige Jahrzehnte später machte sich ein Schweizer Agrarlehrer, Franz Karl Rödelberger, auf eine Reise ins Wallis. Er hatte von einer alten, besonders aromatischen Weizensorte gehört, die nur noch vereinzelt von Bergbauern genutzt wurde. Als er einen Landwirt nach den Samen fragte, erhielt er eine ernüchternde Antwort: „Den haben wir schon lange nicht mehr angebaut.“ Doch in einer alten Getreidescheune fand Rödelberger schliesslich einen letzten Rest der Körner.

Er brachte diese wenigen Weizenkörner zurück in den Schwarzwald und begann, sie auf einem biologisch-dynamischen Hof zu vermehren. Dort begegnete der junge Landwirt Hanspeter Saxer zum ersten Mal diesem aussergewöhnlichen Weizen – eine Begegnung, die sein weiteres Leben prägen sollte.

Was macht den Huron-Weizen so besonders?

Der Huron-Weizen unterscheidet sich in mehreren wesentlichen Punkten von modernen Hochleistungssorten:

  • Hervorragende Backqualität: Sein Mehl ist reich an Klebereiweiss und ermöglicht eine ausgezeichnete Teigelastizität – ideal für aromatische Brote mit langer Teigführung.
  • Robustes Wachstum: Die Sorte ist relativ anspruchslos und gedeiht auch in rauen Klimazonen, wo moderne Sorten oft Schwierigkeiten haben.
  • Kleine Ähren, geringer Ertrag: Die Körner sind kleiner als bei heutigen Standardsorten, wodurch der wirtschaftliche Anreiz für den grossflächigen Anbau gering ist.
  • Grannen als natürlicher Schutz: Die langen Borsten der Ähren bieten Schutz vor Vogelfrass und Krankheiten – ein Vorteil in ökologischen Anbausystemen.

Diese Eigenschaften machen den Huron-Weizen zu einer interessanten Alternative für Bäcker und Landwirte, die Wert auf Qualität statt Quantität legen. Doch genau hier liegt das Problem: In einer industrialisierten Landwirtschaft zählt vor allem der Ertrag pro Hektar.

Warum sind alte Sorten wie Huron in Vergessenheit geraten?

Die Abkehr von traditionellen Getreidesorten begann mit der Grünen Revolution in den 1960er-Jahren. Wissenschaftler entwickelten Hochleistungssorten, die mit synthetischem Dünger und Pflanzenschutzmitteln enorme Erträge lieferten. Weizensorten wurden zunehmend auf kurze Halme gezüchtet, um das Risiko von Lagerbildung (Umknicken der Pflanzen) zu minimieren.

Mit diesen Entwicklungen verloren robuste, traditionelle Sorten ihren Platz in der kommerziellen Landwirtschaft. Der Huron-Weizen, mit seinem geringeren Ertrag, wurde nach und nach von leistungsfähigeren Hybriden verdrängt. Was verloren ging, war nicht nur eine geschmacklich und ernährungsphysiologisch wertvolle Getreidesorte, sondern auch ein Stück landwirtschaftlicher Geschichte und genetischer Vielfalt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Warum wir alte Sorten brauchen

Moderne Forschung zeigt, dass genetische Vielfalt im Getreideanbau ein entscheidender Faktor für die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel ist. Ein Beispiel dafür ist die Sortenmischung, die in einigen Regionen wieder verstärkt genutzt wird. Durch den Anbau unterschiedlicher Weizensorten auf einem Feld kann das Risiko von Ernteausfällen durch Krankheiten oder extreme Wetterlagen verringert werden.

Ein weiteres Argument für alte Sorten wie den Huron-Weizen ist ihre nährstoffreiche Zusammensetzung. Untersuchungen zeigen, dass viele historische Getreidesorten höhere Gehalte an Mineralstoffen wie Zink, Eisen und Magnesium aufweisen als moderne Hochleistungssorten. Dies könnte ein wichtiger Faktor für die Bekämpfung von Mikronährstoffmangel sein, der weltweit Millionen Menschen betrifft.

Die Wiedergeburt des Huron-Weizens

Nachdem Hanspeter Saxer den Huron-Weizen kennengelernt hatte, nahm er sich vor, ihn weiter zu kultivieren. Er erhielt von Rödelberger eine Handvoll Ähren als Geschenk – ein symbolischer Akt, der ihn sein Leben lang begleiten sollte.

Doch die Bewahrung alter Sorten ist eine Herausforderung. Im Jahr 2016 wurde Hanspeters Hof bei einem Brand fast vollständig zerstört, inklusive eines grossen Teils seiner gesammelten Saatgutsorten. Doch anstatt aufzugeben, begann er erneut, den Huron-Weizen zu vermehren – aus einer kleinen Handvoll Samen, die den Brand überstanden hatten.

Heute setzt er sich aktiv für den Erhalt traditioneller Getreidesorten ein und arbeitet eng mit www.ursaat.ch zusammen, die den Wert alter Sorten erkennen und ihr Mehl in handwerklich hergestellten Produkten verarbeiten.

Fazit: Ein Schatz, den es zu bewahren gilt

Die Geschichte des Huron-Weizens zeigt eindrucksvoll, wie fragil das Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne in der Landwirtschaft ist. Einerseits ermöglicht die Agrarwissenschaft enorme Fortschritte in der Produktivität, andererseits droht durch die Fokussierung auf einige wenige Hochleistungssorten ein unermesslicher Verlust an biologischer Vielfalt.

Dank engagierter Landwirte wie Hanspeter Saxer werden Sorten wie der Huron-Weizen nicht nur als Relikt der Vergangenheit betrachtet, sondern als wertvolle Ressource für die Zukunft. Der Anbau alter Sorten ist nicht nur eine Frage des Ertrags, sondern auch der Kultur, der Nachhaltigkeit und des Geschmacks.

Der Erhalt genetischer Vielfalt ist eine Verantwortung, die weit über die Landwirtschaft hinausgeht – sie betrifft uns alle.


Kai Isemann

Ursprünglich aus der Finanzwelt kommend, begleite ich seit 2012 Menschen und Organisationen in sozial-ökologischer Transformation – besonders dort, wo Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl scheinbar im Widerspruch stehen. Mein Fokus liegt auf der agrarökologischen Entwicklung und der Gestaltung nachhaltiger Wertschöpfungskreisläufe.

Ich arbeite strikt nach dem Triple Bottom Line Modell. 1) Ist es gut für die Umwelt? 2) Ist es gut für die Menschen? 3) Ist es wirtschaftlich tragfähig? Und zwar in dieser Reihenfolge!

Mit interdisziplinären Ansätzen vereine ich Ökonomie, Agrarökologie und Gesellschaft, um regenerative Lösungen für Landwirtschaft und Kapitalallokation zu entwickeln.


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