Kasse Zurück zur Website
Skip to main content

Moderne Getreidesorten ohne genetische Vielfalt – Ein Einheitsbrei der Lebensmittelindustrie

Die moderne Landwirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. Durch die Fokussierung auf wenige ertragreiche Getreidesorten konnte die Produktivität erheblich gesteigert werden. Doch dieser Fortschritt hat auch eine Kehrseite: den Verlust genetischer Vielfalt.

Die Bedeutung der genetischen Vielfalt

Genetische Vielfalt ist essenziell für die Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an wechselnde Umweltbedingungen. In der Vergangenheit nutzten Bauern eine breite Palette von Sorten, die an lokale Bedingungen angepasst waren. Diese Vielfalt bot Schutz vor Krankheiten, Schädlingen und Klimaschwankungen. Heute hingegen dominieren weltweit einige wenige Hochleistungssorten, die für maximale Erträge optimiert wurden – oft auf Kosten ihrer Widerstandsfähigkeit.

Die genetische Eintönigkeit moderner Sorten bedeutet, dass ein einziger Krankheitserreger oder Schädling ganze Ernten vernichten kann. Ein bekanntes historisches Beispiel ist die Grosse Hungersnot in Irland (1845–1852), die durch die Kartoffelfäule verursacht wurde. Weil fast ausschliesslich eine genetisch identische Kartoffelsorte angebaut wurde, konnte sich der Erreger ungehindert ausbreiten. Ein ähnliches Risiko besteht heute für viele unserer wichtigsten Getreidekulturen.

Die Abhängigkeit von wenigen Sorten – eine gefährliche Entwicklung

Moderne Weizen-, Mais- und Reissorten sind oft das Ergebnis intensiver Züchtung mit dem Ziel maximaler Erträge. Dies hat dazu geführt, dass die Anbaulandschaft von einigen wenigen, genetisch sehr ähnlichen Sorten dominiert wird. Beispielhaft zeigt sich dies beim Weizen: Im 20. Jahrhundert wurden durch die Grüne Revolution ertragreiche, kurzhalmige Weizensorten eingeführt, die sich weltweit durchsetzten. Diese Sorten sind jedoch stark abhängig von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden, da ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten geringer ist als die traditioneller Sorten.

Ein dramatisches Beispiel für die Folgen genetischer Verarmung ist die Geschichte der Banane: Die weltweit dominierende Sorte „Cavendish“ ist genetisch nahezu identisch. Bereits in den 1950er Jahren wurde ihre Vorgängersorte „Gros Michel“ durch eine Pilzkrankheit (Panama-Krankheit) fast vollständig ausgelöscht. Heute steht die Cavendish-Banane vor dem gleichen Schicksal, da ein neuer Pilzstamm auf dem Vormarsch ist. Ähnliche Szenarien drohen auch bei Getreide.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Genetische Vielfalt für die Zukunft der Landwirtschaft

Forschungsergebnisse zeigen, dass genetische Diversität nicht nur die Widerstandskraft von Pflanzen erhöht, sondern auch zur langfristigen Sicherung der Erträge beiträgt. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der „Landrassen-Weizen“, eine alte Weizensorte, die in vielen Regionen der Welt noch in kleineren Mengen angebaut wird. Studien zeigen, dass solche Sorten unter extremen Wetterbedingungen oft stabilere Erträge liefern als moderne Hochleistungssorten.

Wissenschaftler plädieren daher für eine Rückkehr zu diverseren Anbausystemen, die sowohl moderne als auch traditionelle Sorten umfassen. Die sogenannte „Mischkultur“ – also der Anbau mehrerer Sorten auf einem Feld – kann das Risiko von Ernteausfällen reduzieren. Zudem zeigen Untersuchungen, dass alte Getreidesorten oft höhere Gehalte an Mineralstoffen und Antioxidantien aufweisen, was sie auch aus ernährungsphysiologischer Sicht wertvoll macht.

Der vergessene Schatz alter Getreidesorten

In einem abgelegenen Tal im Himalaya wurde vor einigen Jahren eine uralte Gerstensorte entdeckt, die sich über Jahrhunderte kaum verändert hatte. Diese Sorte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, zeigte eine beeindruckende Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und extreme Witterungsbedingungen. Wissenschaftler entdeckten, dass sie genetische Merkmale besitzt, die modernen Gerstensorten fehlen – eine wertvolle Ressource für die zukünftige Züchtung.

Ein weiteres Beispiel ist der Einkornweizen, eine der ältesten kultivierten Getreidearten der Welt. Er wächst auch auf kargen Böden und unter trockenen Bedingungen, wo moderne Weizensorten längst versagen. Dennoch fristet er heute ein Nischendasein, obwohl er genetisch reichhaltig und ernährungsphysiologisch vorteilhaft ist.

Fazit: Ein Plädoyer für Vielfalt

Die Fokussierung auf wenige Hochleistungssorten hat die Produktivität gesteigert, doch sie birgt grosse Risiken. Der Verlust genetischer Vielfalt macht unser Ernährungssystem anfällig für Krankheiten, Schädlinge und den Klimawandel. Eine Rückbesinnung auf traditionelle Sorten und ein diversifizierter Anbau könnten dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft langfristig zu sichern.

Genetische Vielfalt ist nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Thema. Der Einheitsbrei der Lebensmittelindustrie mag effizient erscheinen – doch er könnte sich als tickende Zeitbombe erweisen. Die Lösung liegt in einer intelligenten Kombination aus traditionellem Wissen und moderner Wissenschaft. Siehe www.ursaat.ch.


Kai Isemann

Ursprünglich aus der Finanzwelt kommend, begleite ich seit 2012 Menschen und Organisationen in sozial-ökologischer Transformation – besonders dort, wo Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl scheinbar im Widerspruch stehen. Mein Fokus liegt auf der agrarökologischen Entwicklung und der Gestaltung nachhaltiger Wertschöpfungskreisläufe.

Ich arbeite strikt nach dem Triple Bottom Line Modell. 1) Ist es gut für die Umwelt? 2) Ist es gut für die Menschen? 3) Ist es wirtschaftlich tragfähig? Und zwar in dieser Reihenfolge!

Mit interdisziplinären Ansätzen vereine ich Ökonomie, Agrarökologie und Gesellschaft, um regenerative Lösungen für Landwirtschaft und Kapitalallokation zu entwickeln.


Weitere Impulse aus meinem Universum