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Richtig Rechnen in der Landwirtschaft

Richtig Rechnen in der Landwirtschaft

Die schädlichen Auswirkungen konventioneller Landwirtschaft sind seit Langem bekannt und deutlich sichtbar. Wie sieht es aber mit den positiven Leistungen der Landwirtschaft aus? Wie ist unser Kenntnisstand zu erbrachten Leistungen, welche eine nachhaltig positive Wirkung erzielen? In Deutschland wurde eine Bilanzierungsmethode entwickelt, welche die positiven Nachhaltigkeitsleistungen der Landwirtschaft bewertet und ausweist.

Die Regionalwert Leistungsrechnung ist eine umfassende Methode, um die ökologischen, sozialen und regionalökonomischen Leistungen eines Landwirtschaftsbetriebes finanziell zu bewerten. So werden die erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen ökonomisch sichtbar und können nach aussen transparent kommuniziert werden. Das Ziel ist nicht nur das Bewerten und Aufzeigen können der erbrachten Leistungen, sondern auch die Grundlage zu schaffen, um diesen finanziellen Wert einfordern zu können. Der erbrachte Mehrwert muss sich für die Betriebe lohnen. Nur wenn diese Leistungen wertgeschätzt und entsprechend vergütet werden, können sie auch weiterhin erbracht werden.

Nachhaltig produzieren und wirtschaftliche Erträge erzielen ist noch immer häufig ein Spannungsfeld, dies gilt auch für die Landwirtschaft. Konsument:innen fordern hohe Qualität bei den Produkten und eine nachhaltige Produktion, gleichzeitig stehen Landwirt:innen unter einem hohem Preisdruck. Nachhaltigkeitsanalysen zeigen bisher vor allem die schädlichen Auswirkungen der Landwirtschaft auf. Die Regionalwert Leistungsrechnung will als Gegengewicht dazu die positiven Nachhaltigkeitsleistungen der Landwirtschaft aufzeigen. Die Methodik ist in enger Zusammenarbeit mit Landwirt:innen entstanden. Es handelt sich also nicht um ein Tool, welches top down entwickelt wurde, sondern um eine praxisnahe Bewertungsmethode, welche von Landwirt:innen für Landwirt:innen erarbeitet wurde.

Diese Bewertungsmethode, welche auch als Richtig Rechnen in der Landwirtschaft bezeichnet wird, ist eng mit der Regionalwertidee verbunden. Die Landwirtschaftsbetriebe erbringen Leistungen, die ihrer Region einen Mehrwert bieten. Um die regionale Resilienz zu stärken, sollen die erbrachten Leistungen und erzeugten Produkte möglichst in der Region bleiben. Im Gegenzug sollen die Bürger:innen und Betriebe der Region die landwirtschaftlichen Leistungen wertschätzen und mittels einer finanziellen Prämie vergüten. Die Kreisläufe der ökologischen, sozialen und ökonomischen Energie werden so regional geschlossen und stärken alle Akteure in der jeweiligen Region.

Die Weiterentwicklung der Methode entlang der gesamten Wertschätzungskette ist in Planung. Erklärtes Ziel ist es, dass alle Betriebe entlang der Wertschätzungskette ihre erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen bewerten und ausweisen können. Die Regionalwert Leistungsrechnung kann dabei helfen, die verdiente Wertschätzung einzufordern und zu erhalten.

Was Christian Hiss aus einer Verzweiflung heraus in den vergangenen 15 Jahren entwickelt hat ist, einfach formuliert, der Kontenplan für landwirtschaftliche Unternehmungen, die nach der Reversed Triple Bottom Line wirtschaften wollen. Mit Richtig Rechnen in der Landwirtschaft habe ich heute die erste tatsächlich wirkungsorientierte Rechnungslegung im Detail kennenlernen dürfen und mich entschieden, die Implementierung in der Schweiz aktiv voranzutreiben. 

Im Rahmen einer Informationsveranstaltung auf Gut Rheinau haben Christian Hiss und Mathias Forster (Bio Stiftung Schweiz & Bodenfruchtbarkeitsfonds) die Erfahrungen aus den ersten Jahren Anwendung von Richtig Rechnen in der Landwirtschaft in Deutschland und Österreich geteilt und erklärt, wie mit diesem Ansatz nicht nur individuelle Landwirtschaftsbetriebe sondern die gesamte Regionalwirtschaft revolutioniert werden kann. 

Moritz Ehrisman vom Gut Rheinau hat die Unterschiede in den Rechnungslegungen dann anhand der eigenen Zahlen 2021 demonstriert und aufgezeigt wie Gut Rheinau seine Regionalwert Leistungen berechnet. Nun, das Resultat ist sehr eindrücklich! 

Ist es möglich, die sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Leistungen von Landwirtschaftsbetrieben und den erweiterten Funktionen in deren Biosphäre zu berechnen? Ja, ist die Antwort! Richtig Rechnen in der Landwirtschaft macht die tatsächliche Nachhaltigkeit (kein Impact Washing!) von Betrieben messbar. Individuell auf jeden Betrieb zugeschnitten setzt es die Anreize in der Buchhaltung so, dass wirklich nachhaltiges Handeln messbar wird und ökonomisch ausgeglichen werden kann. 

Als Sahnehäubchen stellte Betriebsleiter David Jacobsen bei einem Feldrundgang vor, wie ein exemplarischer Nachhaltigkeitsindikator konkret gemessen wird. 

Dass dieses Modell die Zukunft ist, belegt die Tatsache, dass SAP als weltweit agierender IT-Dienstleister die Logik von Richtig Rechnen in der Landwirtschaft übernommen hat und unter QuartaVitsta weiterentwickelt. 

Richtig Rechnen in der Landwirtschaft (Textauszug)

Als Gärtner arbeitete ich mit den Gesetzen des Aufbaus und des Abbaus der natürlichen Fruchtbarkeiten und bin deshalb mit der ursprünglichsten aller Ökonomien vertraut, dem Haushalten mit den natürlichen Ressourcen und den Gesetzen ihrer Regeneration. Ich kenne ihre Belastbarkeit und arbeite am erfolgreichsten innerhalb der Grenzen, die sie auszuhalten in der Lage sind. In den vergangenen Jahrzehnten hat aber ein Ökonomieverständnis die Oberhand gewonnen, das diese Gesetzmässigkeiten und Grenzen missachtet. Man geht mit den natürlichen und sozialen Ressourcen um, als wäre ihre unendliche Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit gegeben.

Dieses falsche Wirtschaften wird abgeleitet aus einem konstruierten und abstrakten Rechenschema, das zwar jedes Unternehmen anwendet, das aber trotzdem nicht richtig ist. Es verengt den Blick auf eine unvollständige Abstraktion und macht blind für die ganze Realität des jeweiligen Wirtschaftsprozesses. Man hält die gewonnenen Zahlen der betriebswirtschaftlichen Rechnung für das Abbild der ökonomischen Wirklichkeit und übersieht dabei, dass die Rechnung aber nur einen bestimmten Teil dieser Wirklichkeit widerspiegelt, wesentliche Faktoren des Wirtschaftens aber ausblendet und übergeht.

Die Konsequenz davon wird an den zunehmenden Risiken und Schäden an Natur und Gesellschaft deutlich. Bisher hat man sie leichtfertig übergangen, das wird zukünftig nicht mehr so einfach sein, denn sie werden sich als sich realisierende Vermögensverluste wieder bemerkbar machen. Der Raubbau am Natur- und Sozialvermögen wird durch steigende Preise, die Reparaturkosten von Schäden durch Naturkatastrophen und Massnahmen zur Befriedung sozialer Verwerfungen in der Belastung des Staates, der Rechnung bei den Unternehmen und in der Folge beim Privatvermögen wieder auftauchen. Mit steigenden Kosten aus externalisierten Risiken und Schäden wird dem Staat nichts anderes übrig bleiben, als die Steuern und andere Zwangsabgaben zu erhöhen. Um es pathetischer zu formulieren: Die durch den betriebswirtschaftlichen Tunnelblick ausgeblendeten Seinsbereiche der natürlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit verschaffen sich wieder Geltung und Achtung, sie lassen sich durch abstrakte Effektivitätskalkulationen nicht einfach wegrechnen.

Es wäre daher sinnvoller und konstruktiver, eine neue, der Gesetzmässigkeit der lebendigen Natur und der sozialen Verantwortung entsprechende Buchhaltungs- und Bewertungsmethode einzuführen, anstatt die falsche Rechnung weiter voran zu treiben und die Risiken und Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft noch mehr zu erhöhen. Finanzielle Gewinne von Unternehmen sind dann echte Gewinne, wenn gleichzeitig die sozialen und natürlichen Vermögen zunehmen und nicht abnehmen. Ist das nicht der Fall, dann sind finanzielle Gewinne nur Scheingewinne. Würde die Gesamtrechnung stimmen und wären die Variablen der Kalkulation andere als jetzt, dann wäre auch wieder Wirtschaftswachstum möglich und sinnvoll, ein Wachstum, mit dem und von dem alle gut leben können, jetzt und in Zukunft. 

Vollständige Leseprobe


Kai Isemann

Ursprünglich aus der Finanzwelt kommend, bin ich seit 2012 als Unternehmer und Mentor tätig. Für Menschen, die sich ihrer Verantwortung für die ökonomische Energie bewusst sind, die sie verwalten, orchestriere ich seit mehr als einem Jahrzehnt Lösungen, wie sie diese Energie dem Reversed Triple Bottom Line Modell für eine nachhaltige Entwicklung entsprechend investieren können.

1) Ist es gut für die Umwelt?
2) Ist es gut für die direkt und indirekt Beteiligten?
3) Ist es gut für die Ökonomie unserer Wertegemeinschaft?

Und zwar in dieser Reihenfolge!