Syntropischer Agroforst – Landwirtschaft als regenerativer Organismus
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Syntropischer Agroforst – Landwirtschaft als regenerativer Organismus
Im letzten halben Jahr durfte ich tief in die Welt des syntropischen Agroforsts eintauchen – im Rahmen einer Ausbildung bei Relavisio. Vieles, was ich dort gelernt habe, hat nicht nur mein Wissen vertieft, sondern auch eine innere Überzeugung gestärkt: Landwirtschaft im Einklang mit natürlichen Prozessen ist nicht nur möglich, sie ist notwendig – sie ist lebendig, regenerativ und zukunftsfähig.
Besonders prägend für mich war die erneute Zusammenarbeit mit Uzzy Artzmann, deren tiefe Erfahrung, Genauigkeit und Begeisterung für die Wissensvermittlung mir nicht nur technische Werkzeuge vermittelt hat, sondern auch den Mut aufgefrischt hat, die Dinge anders zu denken – und in meinem eigenen Agroforst wie auch in der Begleitung anderer Betriebe konsequent umzusetzen.
Syntropie als Antrieb lebendiger Systeme
Die Grundlage des syntropischen Agroforsts ist ein Verständnis von Natur, das auf Kooperation statt Konkurrenz aufbaut. Während Entropie auf Zerfall und Isolation zielt, beschreibt Syntropie eine Bewegung hin zu Komplexität, Verbindung und höherer Ordnung.
In landwirtschaftlicher Praxis heisst das: Anstatt natürliche Systeme zu unterbrechen, bauen wir auf ihrer inneren Logik auf. Wir imitieren Sukzessionsprozesse, fördern Vielfalt auf allen Ebenen und gestalten Systeme, die mit jedem Jahr an Fruchtbarkeit, Stabilität und Produktivität gewinnen – ganz ähnlich wie ein Wald.
Ernst Götsch formulierte diesen Ansatz bereits 1992 in seiner Publikation Dynamic Agroforestry. Statt der üblichen Trennung von „Nutzfläche“ und „Natur“ entwirft er ein Landwirtschaftsmodell, in dem Produktion und Regeneration nicht im Widerspruch stehen sondern einander bedingen.
Architektur lebender Systeme: Zeit, Raum, Funktion
Die technische Umsetzung eines syntropischen Systems verlangt ein präzises Verständnis räumlicher und zeitlicher Dynamiken. Pflanzen werden in vertikaler Schichtung, funktionaler Staffelung und zeitlicher Sukzession kombiniert – ähnlich der natürlichen Entwicklung eines Waldes.
So entstehen mehrschichtige Systeme mit Bodenkriechern wie Erdbeeren oder Waldmeister, Bodendeckern wie Weissklee oder Thymian, Stauden wie Rhabarber, Löwenzahn oder Topinambur, Sträuchern wie Johannisbeere, Felsenbirne oder Hasel, sowie niedrigeren Bäumen wie Quitte, Holunder oder Pflaume und höheren Bäumen wie Esskastanie, Walnuss oder Linde. Frühreife Pflanzen wie Mangold, Bohne, Zucchini oder Mais können dabei in die frühen Phasen eingebracht werden, während Pioniergehölze wie Sanddorn, Robinie, Erle oder Pappel gezielt zur Biomasseproduktion und Bodenaufbereitung genutzt werden – bis die langfristig tragenden Gehölze wie Birne, Apfel, Marone oder auch Baumnüsse ihre Rolle im System übernehmen.
Rückschnitt ist kein Störfaktor, sondern gezieltes Werkzeug. Er bringt Licht ins System, aktiviert Wurzelwachstum und füttert das Bodenleben mit organischer Substanz. Die natürliche Sukzession wird so nicht nur respektiert, sondern bewusst gestaltet und beschleunigt.
Der Mensch als Kooperationspartner
In der syntropischen Landwirtschaft ist der Mensch nicht der Ausbeuter der Natur, sondern Teil ihres Regenerationsprozesses. Die Aufgabe besteht nicht darin, Kontrolle zu erzwingen, sondern Beziehungen zu ermöglichen. Diese Haltung ist mehr als romantische Ökologie – sie ist funktional. Denn funktionierende Ökosysteme sind produktiver, resilienter und langfristig stabiler als jedes inputintensive System. Wir fördern Vielfalt, gestalten Übergänge und synchronisieren uns mit den natürlichen Rhythmen. Wir schaffen Systeme, die über Generationen tragfähig sind – ökologisch, sozial und ökonomisch.
Transformation beginnt mit einem anderen Blick
Die aktuelle Publikation von Prof. Johanna Jacobi, ETH (Syntropic farming systems for reconciling productivity, ecosystem functions, and restoration, 2025) zeigt auf, dass tiefgreifende agrarökologische Veränderung nicht durch einzelne Methoden erreicht wird – sondern durch einen Wechsel der zugrunde liegenden Denk- und Organisationsformen.
Syntropischer Agroforst verkörpert genau diese systemische Transformation:
- Auf Wissensebene durch das Erlernen natürlicher Dynamiken.
- Auf wirtschaftlicher Ebene durch lokal angepasste, resiliente Wertschöpfung.
- Auf sozialer Ebene durch Kooperation, Inklusion und gemeinsames Lernen.
Er öffnet Räume für regeneratives Wirtschaften, für neue Eigentumsmodelle, für kooperative Strukturen – und für eine Landwirtschaft, die nicht länger Teil des Problems ist, sondern Teil der Lösung.
Wachsen im Wandel
Syntropisches Denken und die Prinzipien lebendiger Systeme können Betriebe dabei unterstützen, Produktivität mit Regeneration zu verbinden – und ihre Flächen und Räume ökologisch, sozial und ökonomisch zukunftsfähig aufzustellen. In agrarökologischen Begleitprozessen entstehen praxisnahe Strategien, die Vielfalt fördern, Betriebsmittel reduzieren und den Hof als resilientes Ganzes stärken.
Der Weg ist anspruchsvoll. Er verlangt genaue Beobachtung, Flexibilität, und das Vertrauen in Prozesse, die sich nicht linealartig planen lassen. Doch er bietet etwas, das in der konventionellen Landwirtschaft oft fehlt: Verbundenheit, Verantwortung und Lebendigkeit – was gut für die Gesamtheit unserer Gesellschaft stehen kann.
Ein syntropisches System ist nie abgeschlossen. Es lebt, wächst, verändert sich – genau wie wir selbst, wenn wir uns auf diesen Weg einlassen.
Du möchtest mehr erfahren oder selbst einen syntropischen Weg einschlagen? Ich freue mich auf den Austausch. Melde dich gern!
Über 15 Jahre lang habe ich in der globalen Finanzwelt forensische Analysen und Due-Diligence-Audits auf Finanztransaktionen durchgeführt. Ich leitete funktionsübergreifende Teams, um Risiken zu identifizieren, Kapitalströme zu optimieren und operationelle und ökonomische Integrität sicherzustellen.
Heute nutze ich diese analytische Schärfe und systemische Denkweise, um sozialökologische Transformationen zu begleiten. Mein Fokus liegt auf agrarökologischer Entwicklung und nachhaltigen Wertschöpfungskreisläufen – stets aus der Perspektive von Risiko, Resilienz und Wirtschaftlichkeit.
Dem Triple Bottom Line Modell folgend interessiert mich: 1) Ist es gut für die Umwelt? 2) Ist es gut für die Menschen? 3) Ist es wirtschaftlich tragfähig? Die Reihenfolge dieser Fragestellung bestimmt meine Arbeit – von der strategischen Kapitalallokation bis zur Umsetzung regenerativer Geschäftsmodelle.